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IPD-Verträge

von: Prof. Dr. Klaus Eschenbruch, DVP-Vorstand, Rechtsanwalt, Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB, Düsseldorf

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1    
„Neue“ Projektabwicklungsformen scheinen ihren Weg in die deutsche Projektwirtschaft zu finden. Auftraggeber haben unter den heutigen Marktbedingungen zunehmend das Problem, leistungsfähige Management-, Planungs- und Baupartner zu finden, mit denen sie größere und komplexere Projekte innerhalb ihrer Termin- und Kostenziele abwickeln können. Schwieriger gestaltet sich zudem das Management einer zunehmenden Anzahl von Projektbeteiligten mit unterschiedlichen Interessen, während der bei diesen Projekten längeren Projektabwicklungsdauer. Der Transfer von Managementaufgaben auf die Unternehmerseite mittels Totalunternehmer- und Generalunternehmergeschäftsmodellen scheitert vielfach an den begrenzten Kapazitäten in den Märkten und entsprechend teureren Leistungsangeboten. Der denkbare Ausweg einer Paket- oder Einzelvergabe hat sich für viele marktteilnehmende Auftraggeber als äußerst dornig und ernüchternd herausgestellt. Auch die Verstärkung der Auftraggeberorganisation durch externe Projektsteuerer gelingt nicht immer erwartungsgemäß. Als Lösungsmodelle zeichnen sich derzeit am Horizont partnerschaftliche Projektansätze ab, in deren Rahmen sich zentrale Projektbeteiligte in einer frühen Projektphase zusammenfinden, um ein Projekt gemeinsam zu verwirklichen. In integrierten Projektabwicklungsmodellen mit Exit-Strategien wollen die Beteiligten insbesondere das Planen und Bauen zusammenführen und für Auftraggeber eine neue Perspektive belastbarer Abwicklungsmethodiken für größere und komplexere Projektrealisierungen eröffnen. Die Befürworter dieser Modelle vertreten die Auffassung, mit ihnen werde nun (endlich) die Projektsteuerung gänzlich überflüssig. Die Steuerungsanforderungen würden von den zentralen Projektbeteiligten, Planern und ausführenden Unternehmen mitübernommen. Ist dies ein Vorzeichen für das Aussterben einer Branche? Was ist von diesen Ansätzen zu halten?

2    
An den ohnehin nur für die oberste Projektabwicklungsebene von großen und komplexen Projekten geeigneten Projektabwicklungsformen ist zunächst wenig neu. Die Einsatzform der Beteiligten entspricht bereits „ausgetretenen Pfaden“ enger Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber, Generalplaner und Generalunternehmer bzw. Paketunternehmen, nach dem Abwicklungsmuster von GMP- und Construction Management-Modellen. Diese Abwicklungsformen beinhalten bereits die in den IPD-Konzepten verankerten Projektabwicklungsphasen mit verzahntem Planen und Bauen und partizipativen Vergütungsformen. Insoweit wird die neue Projektabwicklungsform mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen haben, die auch dem Marktdurchbruch der GMP- und CM-Gestaltungen im Wege gestanden haben.

Neu ist allerdings neben den rein vertraglichen Aspekten einer frühen Einbindung zentraler Projektbeteiligter – ggf. sogar auf Augenhöhe im Rahmen eines Mehrparteienvertrages – das gemeinsame Projektmanagement. Mit einer unterschiedlichen Namensgebung werden bei all diesen Modellen zwei Projektmanagementebenen ausgebildet. Auf der obersten Entscheidungsebene wird ein Senior Project Management Team (SMT) ausgebildet, welches für zentrale Fragestellungen zuständig ist, ein Projektmanagementteam (PMT) besetzt und in der Folge und vornehmlich als Eskalationsgremium dient. Der Schwerpunkt der Projektabwicklung liegt bei dem Project Management Team, welches alle übrigen Leitungs- und Steuerungsmaßnahmen für das Projekt übernimmt. In beiden Teams arbeiten Vertreter der Auftraggeber, Planer und Baufirmen (ggf. sogar paritätisch) zusammen mit der Zielstellung, das Projekt bestmöglich abzuwickeln. Dabei steht auch den Vertretern dieser neuen Modelle vor Augen, dass derartige Gremien mit den jeweiligen Vertretern der beteiligten Vertragsparteien alleine nicht in der Lage sind, diese Projekte zu steuern. Vor diesem Hintergrund werden sog. „Project Implementation Teams“ (PIT‘s) eingesetzt, die unterhalb des Project Management Teams die ihnen übertragenen Aufgaben abarbeiten sollen. Wie diese Zusammenarbeit insoweit im Einzelnen stattfinden soll, ist noch wenig erprobt und Standards hierfür existieren noch nicht. Dementsprechend ist auch bislang nicht erkennbar, ob und wer in welchem Umfang bei diesen Modellen die Projektleitungs- und Projektsteuerungsaufgaben im Sinne der bisherigen deutschen Standards (AHO-Fachkommission, Heft 9, 2020, 5. Auflage) übernimmt.

Aus der Sicht des deutschen Projektmanagements beinhaltet diese Organisationform für das Management einige neue Ansätze.

2.1    
Die im deutschen Projektmanagement entwickelte Unterscheidung zwischen den Funktionen der Projektleitung und des Projektmanagements wird in den vorgenannten Modellvarianten dem äußeren Erscheinungsbild nach aufgehoben. Das Senior Project Management Team übernimmt zumeist lediglich eine Funktion als Eskalationsgremium und übernimmt keine eigene Leitungstätigkeiten im Projekt. Unter dem Projektmanagementteam werden dementsprechend viele Funktionen, die typischerweise der Projektleitung zugeordnet werden und auch das gesamte Portfolio der Projektsteuerung zusammengeführt. Diese Bündelung ist an sich nichts Ungewöhnliches und kommt in den verschiedenen anderen Projektabwicklungskonstellationen vor. Erst die Erfahrung mit dem neuen Projektabwicklungsmodell wird zeigen, ob hier lediglich alter Wein in neuen Schläuchen verkauft wird oder eine neue Variante leistungsfähiger Zusammenarbeitsformen vorliegt. Immerhin sind diese Ansätze ein Fingerzeig für die Interessenlage, Komplexitäten infolge einer weiteren Funktionsausdifferenzierung möglichst zu vermeiden.

2.2    
Der Umfang von Projektmanagementaufgaben in ihrer projektspezifisch erforderlichen Gesamtheit erfährt durch diese Modelle von vornerein keine Veränderung. Projektmanagementaufgaben werden nur in anderer Form und teilweise von anderen Beteiligten erbracht. Wie bei den Generalunternehmer- und Totalunternehmermodellen werden Aufgaben der Projektsteuerung von Planungsbeteiligten oder von ausführenden Unternehmen mitübernommen. Auch für diese Modelle ist allerdings bekannt, dass angesichts der begrenzten Anzahl erfahrener Projektmanager bei den entsprechenden Planungs- und Baufirmen ohnehin die externe Verstärkung der Teams notwendig bleibt. Dementsprechend bedienen sich regelmäßig auch Planer und ausführende Unternehmen erfahrener Projektsteuerbüros, um ihre Tätigkeiten bei Kumulativbeauftragungen im vollen Umfang erbringen zu können. So ähnlich wie die heutige Baukonjunktur nicht mit einer ausreichenden Anzahl qualifizierter Bau- und Planungspartner bedient werden kann, gilt dies auch für die Projektsteuerer. Die Hoffnung, Planer- und Bauindustrien würden die erforderlichen ergänzenden Ressourcen für Steuerungstätigkeiten ohne Weiteres zur Verfügung stellen, kann sich dementsprechend schnell als unbegründet  erweisen. Es dürfte zudem feststehen, dass für die entsprechenden Steuerungskapazitäten bei ausführenden Unternehmen deutlich mehr gezahlt werden müsste, als bei der Rekrutierung aus einem Projektsteuerungsmarkt, für den ein harter Preiswettbewerb kennzeichnend ist.

Aber auch auf der Auftraggeberebene dürfte es bei den neuen Baumodellen viele Einsatzfelder für Projektsteuerer geben. Zunächst ist Partnering immer nur auf Augenhöhe möglich. Die Auftraggeber müssen sich für diese komplexen Modelle entsprechend aufrüsten. In angloamerikanischen Modellvarianten übernehmen vielfach Projektsteuerer die Repräsentanz des Auftraggebers in den Managementgremien (SMT und PMT). Genauso oft arbeiten Projektsteuerungsbüros in den PIT’s und nehmen in dieser Organisationsform Projektsteuerungsaufgaben wahr. Nicht verwunderlich ist es deshalb auch, dass bei der Ausschreibung von Teams für IPD-Projekte oder Mehrparteienverträge auch Projektsteuerungsbüros angesprochen werden und sich an entsprechenden Angebotslegungen beteiligen.

3    
Aufgrund der Komplexität der Modelle und der teilweisen Ersetzung hierarchischer Vertragsadministration durch Methoden sozioökonomischer Verhaltenssteuerung in Gremien ist es nicht überraschend, dass selbst nach den Vorstellungen der Befürworter entsprechender Modelle ein Funktionieren nicht von selbst gewährleistet ist, sondern das partnerschaftliche Zusammenarbeiten einer „psychologischen Dauermassage“ mit eigens dafür eingeschalteten Partnering- oder IPD-Beratern bedarf. Hierdurch soll eine kontinuierliche Ausrichtung aller Beteiligter auf einen partnerschaftlichen „Mindset“ und die Herausstellung der Projektziele als vorrangig zu bedienende Anforderungen abgesichert werden. Projektsteuerungsaufgaben kehren hier in einem neuen Gewand – ggf. in einem moderneren Gewand – wieder!

4    
Unabhängig davon, dass dem neuen Projektabwicklungsmodellen viel Erfolg gewünscht werden kann, zeigt die vorstehende Analyse, dass derartige Modelle qualifizierte Projektsteuerungsleistungen keineswegs überflüssig machen. Für die Projektsteuerung ist wichtig, dass inzwischen neben den deterministischen Steuerungsmodellen (im Sinne einer hierarchischen Vertragsabwicklungssteuerung) weniger statische Managementkonzepte angeboten werden. Projektsteuerer müssen sich daher von einer auf Arbeitspakete und Phasen geprägten Welt gedanklich lösen und flexibel auf neue Zusammenarbeitsformen einstellen. Mithin: Die Projektsteuerung wird auch durch IPD- und Mehrparteienverträge nicht überflüssig; für vorausdenkende Branchenangehörige ergeben sich neue Geschäftschancen!